In den letzten Wochen durfte ich hier in Südafrika eine tolle Frau kennenlernen, Elise Elsing. Der Kontakt kam über Bekannte in Nürnberg zustande, denen ich von meinem Südafrikaaufenthalt erzählt hatte. Elise Elsing wanderte als junge Bauingenieurin nach Südafrika aus. Als ihre Mutter sie hier 1988 besuchte, lernte sie auf dem Flug Mutter Theresa kennen, die ihr von Khayelitsha erzählte. In Kapstadt angekommen besuchte sie daraufhin mit ihrer Tochter den Township. Dieser Besuch hinterließ bei Mutter und Tochter einen so bedrückenden und nachhaltigen Eindruck, dass beide helfen wollten, die Situation dort zu verbessern. Als die Mutter Meta Rentzsch von ihrem Besuch in ihre Heimatstadt Haltern am See zurückkehrte, gründete sie den Förderverein Khayelitsha e.V. Haltern am See (http://www.khayelitsha.de) und begann durch Öffentlichkeitsarbeit, Basare u. ä., sich um Geld- und Sachspenden zu bemühen. Ihre Tochter Elise kümmert sich, auch mit Hilfe ihrer Kontakte im Baugewerbe, um die Realisierung der Projekte. Seit 1989 wird der Bau gemeinnütziger Projekte in verschieden Townships in der Kapregion gefördert. Damit wird die Infrastruktur für ortsansässige NGOs geschaffen, die Organisation und die laufenden Kosten liegen dann in der Hand der südafrikanischen Organisationen. Also Hilfe zur Selbsthilfe.
Sisiphiwo Kindergarten und Vorschule in Khayelitsha
Während unseres Aufenhalts hat Elise, mittlerweile schon 71 Jahre alt, mir und dann auch nochmal der ganzen Familie verschiedene Projekte gezeigt. Sie ist mit uns furchtlos auch in die ärmsten Gegenden gefahren und wir konnten sehen und begreifen wie viel Verbesserung die Arbeit des Vereins dort schon erreicht hat. Sie hat sich bei dem Besuch der verschiedenen Projekte auch immer für die Situation vor Ort interessiert und sich um z.B. kleine Reparaturen, wie kaputte Türen, sofort gekümmert. Sie ist vor Ort gefragte Ansprechpartnerin und berät auf ihre herrlich ehrliche Art die verschiedenen NGOs.
Kindergarten Siyahlima in Enkanini „informal Settlement“
Die überwiegende Mehrheit der Kapstädter lebt in Townships.
Khayelitsha ist der zweitgrößte Township nach Soweto in Südafrika. Hier leben schätzungsweise 2 Millionen Menschen und es werden täglich, durch Immigration aus dem In-und Ausland, mehr. Townships wurden während der Apartheid als Wohnsiedlungen für schwarze und farbige Südafrikaner abgegrenzt. Auch heute sind 98% der Bevölkerung schwarz. Wie im ältesten Township Langa (1927 gegründet), bestanden die ersten Townships aus Wohnheimen. Hier waren ca. 16 Männer in ca 30m2 großen Reihenhausunterkünften untergebracht. Diese Unterkünfte waren für Arbeitsmigranten und nur notdürftig errichtet und überfüllt. Nach der Abschaffung der Passgesetzte, denen zufolge Niemand, ohne Job, außerhalb der Homelands die Homelands verlassen durfte, holten die Männer ihre Familien zu sich. Die Einwohnerzahl der ursprünglichen Townships stieg springhaft an und es wurden neue Townships wie Khayelitsha gegründet.
Straßenzug in Khayelitsha mit Geschäfteninformelle Siedlung in Khayelitsha ohne Wasseranschluss mit „Dixietoiletten“Näherei in informeller SiedlungBed and Breakfastunterkunft in Khayelitsha
Üblicherweise verknüpft man mit Townships einfache Hütten. In solchen Hütten aus Wellblech, Holz und Papier leben etwa 20% der Township Einwohner in sogenannten „informellen Siedlungen“. In den informellen Siedlungen gibt es keine städtische Infrastruktur, keine angelegten Stra8en, keine Kanalisation, kein fließendes Wasser, keine Toiletten in den Behausungen. Seit dem Ende der Apartheid 1994 ist die Regierung bemüht durch verschiedene Entwicklungsprogramme richtige Häuser in den Townships zu bauen. Das RDP (Reconstruction and Development Programme) stellt ehemaligen Barackenbewohnern sehr einfache kostenlose Häuser zur Verfügung. Diese sind ca 28 m2 groß und bestehen aus 4 Betonwänden mit Wellblechdach. Sie sind nicht isoliert und haben auch kein fließend Heißwasser. Die Häuser des BNG- Programms (Breaking New Ground) sind etwas größer, haben 2 Schlafzimmer, Badezimmer mit Toilette, Dusche und Waschbecken und ein kombiniertes Wohn- und Schlafzimmer. Für diese Häuser gibt es lange Wartelisten und Voraussetzung für die Bewerbung ist ein maximales monatliches Haushaltseinkommen von 3.500 R. Die Kosten eines solchen Hauses belaufen sich auf etwa 20.000 R. Daneben gibt es auch staatliche Unterstützungen bei Mietkosten oder Baufinanzierungen für Geringverdiener. 2018 erhielten 13,6% der südafrikanischen Haushalte staatliche Unterstützung fürs Wohnen.
Straßenzug mit SteinhäusernInfrastruktur für neuen sozialen Häuserbau
Khumbulani (bedeutet „Erinnert Euch“) ist eine NGO, die seit 12 Jahren einen Kindergarten und ein Betreuungsangebot für Kinder nach der Schule in Khayelitsha betreibt. Die Hilfe konzentriert sich dabei auf mittellose Kinder und Familien, die von HIV, AIDS, Drogenmissbrauch, Hunger und Tuberkulose betroffen sind. Hier verbringe ich nun schon seit Wochen einen Teil meiner Zeit hier in Südafrika und das bringt mich ganz nah ran an das Thema HIV. 2018 waren 260.000 Kinder im Alter von 0-17 Jahren mit HIV infiziert, davon waren nur 63% behandelt. Mehr als 1,2 Millionen Kinder sind durch HIV/ AIDS zu Waisen geworden.
HIV in Südafrika
Wie sieht es aus und was hat sich getan?
Südafrika leidet an der größten HIV-Epidemie weltweit mit 7,9 Millionen HIV-Infizierten. Die Zahl der jährlichen Neuinfektionen liegt bei ca 230000. Jährlich sterben etwa 100.000 Menschen an den Folgen von HIV bzw. Aids -meist an Tuberkulose. 38% der Neuinfektionen fanden 2017 im Alter zwischen 15 und 24 Jahren statt. Dabei infizierten sich 66.000 junge Frauen und 22.000 junge Männer. Auch die Prävalenz (bestehende Infektionsrate) ist bei jungen Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren mit 15,8 % etwa dreimal so hoch, wie bei den Männern im gleichen Alter.
Woran liegt es, dass die Zahl der Erkrankten bei Frauen soviel höher ist?
Dies steht wohl im Zusammenhang mit einem niedrigerem sozialem Status von Frauen, mehr Armut unter Frauen und auch Gewalt gegen Frauen. Südafrika hat hohe Vergewaltigungszahlen. Weiterhin spielen Beziehungen von jungen Frauen zu älteren Männern eine Rolle, eine Gruppe, die eine hohe HIV Prävalenz aufweist. Seit 2016 gibt es eine nationale Kampagne mit dem Namen „She Conquers“, mit der versucht wird, besonders die jungen Frauen länger in der Schule zu halten, Teenagerschwangerschaften und Gewalt gegen Frauen zu reduzieren.
Die HIV Prävalenz steigt mit dem Alter an. Fast ein Drittel der Schwangeren sind HIV positiv. Dieser Wert ist seit 2005 nahezu unverändert. Der Anteil der antiviral behandelten infizierten Schwangeren stieg von 65% im Jahr 2010 auf 87% 2017. Dadurch konnte die Übertragung des Virus von der Mutter auf das Kind auf unter 1% gesenkt werden. Dies führte dazu, dass auch die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter 5 Jahren sank. Trotzdem ist Südafrika noch entfernt von dem 90-90-90-Ziel der UNAIDS für das Jahr 2020. Dieses Ziel beinhaltet, dass 90 % von allen HIV Infizierten ihren HIV Status kennen sollen, weiterhin sollen 90% der Diagnostizierten antivirale Behandlung bekommen und bei 90% der Behandelten soll der Virus supprimiert sein. Immerhin das erste Ziel wurde erreicht. Ca 90% der Infizierten kennen ihren HIV-Status
2017 war bei nur 32% der HIV positiven jungen Frauen der Virus supprimiert und bei nur 38% der HIV positiven Kinder unter 15 Jahren. Die vollständige Unterdrückung des Virus erfordert eine regelmäßige und lückenlose Einnahme der Medikamente.
South African Child Gauge 2019
Die durchschnittliche Lebenserwartung hat sich von 56 Jahren 2010 auf 63 Jahren 2018 erhöht. Seit 2004 werden die antiviralen Medikamente (ART) vom Staat bezahlt. Jährlich gibt der südafrikanische Staat ca. 1,54 Mrd. US Dollar für die HIV-Programme aus.
Leider wurde zu Beginn der Epidemie, in den 80er Jahren, ein konsequentes Vorgehen zur Eindämmung der Verbreitung von HIV verschlafen. Die Apartheitsregierung und auch die erste demokratische Regierung nach 1994 unter Nelson Mandela hat keine effektiven Vorkehrungsmaßnahmen getroffen. Der zweite Staatspräsident Thabo Mbeki und seine Gesundheitsministerin leugneten den Zusammenhang zwischen HIV und AIDS und weigerten sich bis 2002 antiretrovirale Medikamente über den öffentlichen Gesundheitssektor zugänglich zu machen, sowie internationale Hilfsgelder dafür an zu nehmen. Es gab keine von der Regierung geförderten Präventions-und Aufklärungs-maßnahmen. Dies führte dazu, dass sich in dieser Zeit, von 2000 bis 2005, 35.000 Neugeborene bei ihren Müttern ansteckten, 330.000 Menschen an den Folgen von AIDS starben und 550.000 Menschen sich jährlich neu infizierten. Millionen Kinder wurden zu Waisen, das fragile Gesundheitssystem war mit dem Patientenaufkommen überfordert. Während 1990 0,73 % der Bevölkerung mit HIV infiziert war, waren es 2005 4,7 Millionen und damit 10% der Bevölkerung.
Nach erheblichen Druck von zivilen Organisationen und Medien und nach einer Klage gegen die südafrikanische Regierung beim Verfassungsgericht wurden, ab 2002 bei besonders schweren Verläufen ,antivirale Medikamente kostenlos an Patienten vergeben. Nach dem Rücktritt des Präsidenten Mbekis gibt es seit 2009 deutliche Fortschritte in der Bekämpfung von HIV und AIDS. Heute verfügt Südafrika über das weltweit größte Behandlungsprogramm mit ART’s, welches vorsieht, dass alle HIV-Infizierten sofort nach positiven Testergebnis eine Therapie erhalten.
Seit 4 Wochen arbeite ich nun schon in einem Kindergarten im größten Township in Kapstadt. Anfänglich war ich aufgrund der vielen negativen Medienberichte über die viele Gewalt in Khayelitsha ängstlich. Ich hatte die ersten Male ein mulmiges Gefühl allein im Auto, in einem Gebiet in dem man sonst keine „Weißen“ trifft. Jetzt überwiegt die Freude! Wenn ich dort ankomme werde ich immer freundlich vom Pförtner Sisi begrüßt und ich bekomme so viel Herzlichkeit von den Kindern. Aber dazu ein anderes Mal mehr. Jetzt möchte ich etwas über die Situation der Kinder in Südafrika schreiben.
Khumbulani Kindergarten in Khayelitsha
In Südafrika leben 19,7 Millionen Kinder (Einwohner unter 18 Jahre). 50% der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt. Obwohl die Kinderarmut in den letzten Jahren durch die Einführung und den Ausbau des Child Support Grant ( eine Art Kindergeld in Höhe von 430R pro Monat und Kind) gesunken ist, leben fast immer noch 60% der Kinder unterhalb der Armutsgrenze ( Haushalt mit weniger als 1.183 R pro Kopf Einkommen). 12 Millionen Kinder beziehen den CSG.
2017 hatten 30% der Kinder kein fließendes Wasser zu Hause und 20% hatten keinen Zugang zu Sanitäranlagen. 10% der Kinder leben in Haushalten ohne Strom.
Nur ein Drittel der Kinder leben mit beiden Elternteilen zusammen, 43% leben nur mit der Mutter und 20% der Kinder leben ohne die leiblichen Eltern bei der Großmutter oder anderen Verwandten. Am schwersten von der Armut betroffen sind „schwarze“ Familien mit schlechter Ausbildung, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und viele Kinder haben und die häufig von Frauen allein versorgt werden.
Die Armut führt dazu, dass diese Kinder häufiger und schwerer Krank sind, sie schlechter ernährt sind, sie einen schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung haben, häufig in ihrer kognitiven Entwicklung beeinträchtigt sind und schlechter ausgebildet werden. Das Alles mündet in einem hohen Risiko für Arbeitslosigkeit und verringert die Chancen der nächsten Generation aus der Armut aus zu steigen.
Der Abstand zwischen arm und reich hat nach dem Ende der Apartheid 1994 noch weiter zugenommen. Laut Weltbank-Report von 2018 ist Südafrika das Land mit der größten Ungleichheit weltweit. Das sieht man nicht nur im Straßenbild in Kapstadt, wo teure Autos direkt neben schlafenden Obdachlosen parken und Hungernde Restaurantbesucher nach den Resten von der Pizza fragen, sondern das macht sich stark in den Lebensumständen bemerkbar.
Beim nächsten Mal möchte ich etwas über das Gesundheitssystem und HIV schreiben, also bis bald..